15 Dez „Der schleichende Tod auf dem Heuboden“
Foto: getrocknete Herbstzeitlose, die im Futterheu von Pferden gefunden wurde – Fotograf: privat
Kennen Sie das? Sie gehen gut gelaunt in den Stall und freuen sich auf die Springstunde mit ihrem Pferd. Doch, das darf jetzt nicht wahr sein, der Kamerad hat ein dickes Fesselgelenk! Keine äußeren Einwirkungen erkennbar, er war nicht auf der Koppel, kein Festliegen – sonderbar! Auch dem Tierarzt fällt nicht viel dazu ein: Keine Zerrung, kein Schlag, aber dick und heiß – sonderbar! Er geht anschließend gleich in die Box nebenan. Die Stute hustet schon seit einiger Zeit, im Schleim sind kaum Erreger zu finden – sonderbar! Wo er schon mal da ist, kann er gleich nach dem Wallach schauen der vor einigen Tagen eine Aufgasungskolik hatte. Der steht nur lethargisch rum und hat innerhalb der kurzen Zeit enorm abgemuskelt. Nicht normal – sonderbar! Also gehen Sie mit Ihrer Freundin einen Kaffee trinken. Sie musste die Dressurstunde unterbrechen. Die Stute hat offensichtlich starke Rückenschmerzen im Lendenbereich und läuft total steif. Gestern war sie noch total fit! – sonderbar!
Hast Du keine Sorgen, kauf Dir ein Pferd! Dem stimmt auch gleich der nächste Reiter zu. Sein Pferd, ein sonst eher ruhiger Geselle, war im Gelände völlig hysterisch, ist über jeden Grasbüschel gestolpert und hat überall nur Monster gesehen – sonderbar! Von der überschäumenden Energie hätte sein Stallnachbar gerne was ab, der bekommt plötzlich keinen Huf mehr vor den anderen. Sonst ein so aufgeweckter Bursche – sonderbar!
Doch, da sind sich alle einig, das ist alles noch besser als die Horrormeldungen vom nahe gelegenen Reiterhof: Drei Pferde mußten kurz hintereinander in die Tierklinik wegen akuten Hufrehe-Schüben. Eine Stute mußte sogar eingeschläfert werden,
weil sie unter furchtbaren Schmerzen „ausgeschuht“ hatte. Sonderbar!?
Treten solche sonderbaren Krankheitserscheinungen gehäuft auf, lohnt sich ein Blick auf das Futterheu, denn hier könnte sich der Auslöser finden: Die Blätter der Herbstzeitlosen! Die früher sorgfältig aus jeder Futterwiese ausgestochene Giftpflanze ist seit Jahren wieder auf dem Vormarsch und breitet sich insbesondere auf extensiv bewirtschafteten, kräuterreichen Wiesen und auf Streuobstwiesen rasch aus. Auf spät gemähten Wiesen werden die zur Heuerntezeit meist schon reifen Samen mit dem Verzetteln des Heus gleichmäßig über die ganze Wiese verteilt und sorgen so für eine schnelle Vermehrung.
Im Rahmen der Technisierung der Landwirtschaft geht viel Wissen um die Pflanzenarten einer guten Heuwiese verloren. So kennen viele Landwirte ihren Lebensrhythmus und auch ihren daraus entstandenen Beinamen nicht mehr: die „Nackte Jungfer“ – So wird sie im Volksmund genannt, da ihre lilafarbenen Krokusblüten in den herbstlichen Wiesen ohne Blätter erscheinen. Erst im nächsten Frühjahr schiebt die Herbstzeitlose ihre Blätter aus einer im Boden ruhenden Knolle, in die sie im Herbst ihre Samenanlagen eingelagert hat. Die sehr dunkelgrünen, tulpenähnlichen Blätter wachsen schon Anfang April gut sichtbar über den Wiesengräsern auf extensiv bewirtschafteten Wiesen, auf Streuobstwiesen und an Waldrändern. Ihre Samen reifen ab Mai in einer Kapsel, die in der Mitte der immer dreizähligen, ca. 30 cm hohen, Blätter wächst. Alle Pflanzenteile sind stark giftig, so dass die Herbstzeitlose zu unseren giftigsten einheimischen Pflanzen zählt.
Die Herbstzeitlose gelangt bei der Heuernte oft unbemerkt ins Futterheu, da sie zu diesem Zeitpunkt meist von Gräsern und Kräutern überwachsen ist. Die Pflanze behält, wie das Jakobskreuzkraut, auch in getrocknetem oder siliertem Zustand die Wirkung ihres Giftcocktails bei. Ihr Hauptwirkstoff ist das Colchicin.
Foto: Herbstzeitlosenblätter in der Wiese Anfang April – Fotograf: Andrea Traub
Schwere Vergiftungen durch größere Mengen getrockneter Pflanzen treten bei Pferden u. a. als lebensbedrohliche Blähungs-Koliken und schwere Stoffwechselstörungen wie z.B. Hufrehe sowie Husten und starkes Speicheln auf. Auch neurologische Störungen (z. B. Kopfschütteln, Stolpern u. a.) können im Zusammenhang mit Vergiftungen stehen, da das Gift die Hirn-Blut-Schranke überwinden kann. Besonders auffällig ist der durch das Zellgift verursachte rapide Muskelschwund. Das Gift reichert sich im Körper an und führt selbst bei geringer täglicher Aufnahme zu Nieren- und Leberschäden. So führte nach einer Untersuchung der Universität Zürich die tägliche Aufnahme von 5 kg Heu, das ca. 74g Pflanzenteile pro Tier und Tag enthielt, bei Pferden nach 3 Tagen zu schweren Koliken (das entspricht 1,48 % Herbstzeitlosenbestandteile pro Heuration).
Das Gift wird sehr schnell vom Körper aufgenommen und wirkt lt. Untersuchung nach ca. 4 -12 Stunden in drei Phasen. Diese beginnen in der 1. Phase meist mit Koliksymptomen, dann folgen in der 2. Phase u. a. Herzrhythmusstörungen, Leberinsuffizienz und neuromuskuläre Störungen. Diese Erscheinungen können 5-7 Tage andauern. In der 3. Phase treten z.B. eine krankhafte Vermehrung der weißen Blutkörperchen (Leukozytose) und Alopezie (Haarausfall) auf. Die unmittelbar tödliche Dosis für Pferde kann bereits bei ca. 400 g der getrockneten Pflanzenteile liegen.
Foto: Herbstzeitlosenblüte Anfang September – Fotograf: Andrea Traub
Da die trockenen Pflanzen nicht bitter schmecken, können die Tiere das getrocknete Kraut im Heu nicht auslesen. Durch die stark vom Standort abhängige Konzentration der ca. 20 verschiedenen Alkaloide, fallen Vergiftungen sehr unterschiedlich aus. Oft sogar innerhalb eines Stalles, da die Symptome zudem je nach Tier sowie je nach aufgenommener Menge stark variieren können. Auftretende Krankheitssymptome werden deshalb oft nicht als Vergiftung diagnostiziert.
Dem Heu liefernden Landwirt obliegt nach dem Gesetz die Gewährleistung für die ordentliche Qualität des gelieferten Heus, insbesondere dessen Giftfreiheit. Doch oft fällt dieser aus „allen Wolken“, wenn er auf seine mit Herbstzeitlosenblätter durchsetzten Heuballen angesprochen wird. Vielen Landwirten ist heutzutage zwar noch die Giftigkeit der herbstlichen Blüte bekannt, doch die Problematik der Blätter und Samenkapseln scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Jedoch auch hier gilt: Unwissen schützt vor Strafe nicht!. Heu, das schädliche Stoffe wie z.B. Giftpflanzen enthält, darf nach § 17 LFGB (Lebensmittel- u. Futtermittelgesetzbuch) weder an die eigenen Tiere verfüttert, noch darf es verkauft werden. Verstöße können mit Geldstrafen, in schweren Fällen auch mit Haftstrafen geahndet werden. Damit kann ggf. auch Schadensersatz für z.B. entstandene Tierarztkosten eingefordert werden.
Doch die Tiere können nicht klagen, sie müssen fressen was ihnen vorgesetzt wird. Es ist also an uns, dafür zu sorgen, dass sie einwandfreies Futter bekommen. Dafür sind Kenntnisse über die wesentlichsten Giftpflanzen wichtig. Ihr Aussehen auf der Wiese und ihr Aussehen in getrocknetem Zustand im Heu, auch mal nur die Bruchstücke der Blätter oder einzelne Samenkapseln gilt es zu erkennen. Beim Jakobskreuzkraut haben Pferdebesitzer und Medien Alarm geschlagen. Das Kraut ist weithin bekannt und auch aus Samenmischungen verschwunden. Die Herbstzeitlose ist nicht weniger gefährlich – im Gegenteil, sie ist eines unserer giftigsten Wiesenunkräuter!
Trotz Informationsveranstaltungen der Landwirtschaftsämter zum Thema, breitet sich die Herbstzeitlose weiterhin rasant aus. Herbstzeitlosenfreies Heu zu kaufen ist in manchen Gegenden, speziell in Baden-Württemberg ausgesprochen schwierig und zeitaufwändig geworden. Warum die Informationen und Warnhinweise der Behörden bei den Landwirten nicht fruchten bleibt Spekulation.
Zur Bekämpfung der Herbstzeitlosen auf Nutzflächen wird vom Landwirtschaftsamt eine frühe Mulchmahd ca. Mitte bis Ende April/Anfang Mai empfohlen. Diese sollte 2 – 3 Jahre beibehalten werden, um die Giftpflanzen auszuhungern. Besonders wirksam ist die an die Mahd anschließende Ausbringung von Jauche/Schwemmmist zum Ausfaulen der Knolle. Damit werden die meisten Pflanzen bereits nach einmaliger Behandlung beseitigt. Eine Mahd im Herbst zur Blütezeit verhindert die Samenbildung der restlichen Pflanzen. Als alleinige Maßnahme nützt dies jedoch lediglich gegen die weitere Verbreitung, nicht jedoch gegen die bestehenden Pflanzen! Bei geringerem Vorkommen können die Pflanzen auch Anfang Mai ausgestochen oder ausgerissen werden, wobei die Pflanzenteile nicht auf der Fläche liegen bleiben dürfen. Die hochgiftigen Pflanzen sollten dabei nur mit Handschuhen angefasst werden!
Nach Auskunft der unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt können auch auf Flächen, die im Rahmen eines Förderprogramms bewirtschaftet werden – nach Rücksprache mit dem zuständigen Sachbearbeiter – Bekämpfungsmaßnahmen durchgeführt werden.
Auf Weiden und Koppeln werden Giftpflanzen von Tieren meist gemieden, solange sich genügend Futter auf der Wiese befindet. Aus Langeweile durch Futtermangel wird dann auch schon mal eine giftige Pflanze angeknabbert, da diese aber in frischem Zustand meist bitter schmecken, kommt es bei erwachsenen Tieren eher selten zur Aufnahme größerer Mengen. Bei weideunerfahrenen Jungtieren sind jedoch auch Vergiftungen durch frische Herbstzeitlose möglich.
Weitere Hinweise zum Thema finden sich z.B. unter Infodienst LAZ BW Aulendorf (Landwirtschaftliches Zentrum Baden-Württemberg) (www.lazbw.de) oder unter http:\\zora.uzh.ch/23471/2/Wolf_Tier%C3%A4rztl_Prax_2009.pdf (Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) Vorkommen u. mögl. Effekte bei Pferden)
Autorin: Andrea Traub
Dipl. Ing. (FH) Landespflege
Quellen:
- Universität Zürich 2009, Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) Vorkommen u. mögl. Effekte bei Pferden
- Infodienst LAZ BW Aulendorf (www.lazbw.de)
- Boericke 8. Auflage 2004, Homöophatische Mittel und ihre Wirkungen
Foto: getrocknete Herbstzeitlose, die im Futterheu von Pferden gefunden wurde – Fotograf: privat